Sonntag, 20. Juni 2010

Wieder zu Hause


Tja...nun sitze ich hier und soll den, von vielen gewünschten, Abschlusspost schreiben.
Lange schon schiebe ich das vor mir her. Vielleicht denke ich tief in mir drinnen, dass, wenn ich den Abschlusspost schreibe, ich auch einen Abschlusspunkt unter meinen Camino setze und das will ich nicht. Der Camino geht für mich immer weiter.
Ich hätte es nicht für möglich gehalten, wie tief er noch nachwirkt. Nun bin ich schon ca. 1 Monat wieder zu Hause und ich habe das Gefühl, dass ich immer noch auf dem Camino bin. Jeden Tag erfahre ich bei Facebook, wie es meinen Caminofreunden geht und ich habe das Gefühl, dass alle irgendwie noch in Gedanken auf dem Weg sind.

So ein Abschlussbericht muss ja auch wohlüberlegt sein. Was schreibe ich, was ist das Fazit? Grübel grübel.

Fazit ist...ich habe kein Fazit. Ich glaube, der Camino wird noch Jahre oder mein ganzes Leben in mir andauern. Ich kann aber sagen, was ich gelernt habe und was sich jetzt schon in mir verändert hat. Auf dem Camino hat unsere Mitpilgerin Katrin uns kurz vor Santiago vorgelesen, was sie in ihrem Tagebuch festgehalten hat. Es waren glaube ich 8 oder 10 Punkte, die sie notiert hat und einige klingen bei mir ähnlich.

Ich habe gelernt:

- der Kraft in mir zu vertrauen
- im Dunkeln einen komplett durchorganisierten Rucksack zu packen
- mit vielen Menschen in einem Raum zu schlafen
- den inneren Schweinehund zu überwinden
- dass eine warme Dusche der vollkommene Luxus sein kann
- dass mein Schlafzimmer zu Hause ein unbeschreiblicher Luxus ist
- dass man auch beim Schein einer Taschenlampe frühstücken kann
- dass man auch wildfremden Menschen innerhalb von 2 Min. vertrauen kann
- meinen Horizont zu erweitern
- all is one
- dass einem Menschen innerhalb kürzester Zeit sehr ans Herz wachsen können
- auf ein Hochbett zu kommen und im Dunkeln runterzusteigen, ohne sich die Knochen
zu brechen (es gab nicht immer Leitern ;-))
- Menschen nicht nach ihrem Äußeren zu beurteilen
- dass einfachste Küche besser sein kann, als manches Luxusmenü
- dass die Natur absolut atemberaubend ist
- dass man auch nur mit ein paar Sachen im Rucksack 4 Wochen glücklich sein kann
- dass die Menschen trotz ihrer verschiedenen Kulturen gar nicht so unterschiedlich
sind
- dass das Schnarchverhalten sich im Laufe einer Nacht ändert ;-)
- dass es einen Ort auf der Welt gibt, wo jeder mit jedem teilt
- dass ich noch umweltbewusster werden muss, weil die Natur einfach atemberaubend
schön ist und so bleiben soll
- dass ich in Restaurants essen kann, die ich in Deutschland nicht mal betreten
würde (der Hunger treibts rein)
- dass immer irgendwo ein Engel ist, wenn man einen braucht
- dass wir Deutschen unglaublich bequem und unbeweglich im Denken sind
- dass es gut tut, Altvertrautes zu durchbrechen
- dass man nicht immer alles planen und durchstrukturieren muss
- Einfachheit
- Gottvertrauen!!!

Ich glaube, der Pilgervirus hat mich voll erwischt. Ich sehne mich danach, wieder den Staub unter meinen Füßen zu spüren und von der klaren Luft durchströmt zu werden.
Den holzigen Eukalyptusduft zu riechen und den Blick über die Berge schweifen zu lassen mit dem wohligen Gefühl, diesen Gipfel mit der eigenen Kraft erklommen zu haben.

Symbolisch gesehen werde ich in meinem Leben sicher noch einige Gipfel erklimmen und auch einige Täler durchschreiten und ich bin mir sicher, dass die Erfahrungen meines Caminos mir dabei helfen werden.

Ich habe heute ein Gedicht von Christian Morgenstern gelesen, dass das Gefühl auf dem Camino und "am Ende der Welt", als ich auf den Felsen saß und aufs Meer hinausschaute, gut beschreibt. Mit diesem Gedicht möchte ich meinen Blog beenden.

Am Meer


Wie ist dir nun,
meine Seele?
Von allen Märkten
des Lebens fern,
darfst du nun ganz
dein selbst genießen.

Keine Frage
von Menschenlippen
fordert Antwort.
Keine Rede
noch Gegenrede
macht dich gemein.
Nur mit Himmel und Erde
hältst du
einsame Zwiesprach.
Und am liebsten
befreist du
dein stilles Glück,
dein stilles Weh
in wortlosen Liedern.

Wie ist dir nun,
meine Seele? Von allen Märkten
des Lebens fern
darfst du nun ganz
dein selbst genießen.

Christian Morgenstern



In diesem Sinne......ultreia!

Eure
Silla

Montag, 24. Mai 2010

Finisterre - das Ende der Welt



Nachdem wir unseren ereignisreichen ersten Tag in Santiago abgeschlossen hatten, folgte
eine ruhige (aber nur bei geschlossenen Fenstern) Nacht in unserem schnuckeligen Hotel.

Morgens wollten wir uns auf die 3 Std. Busfahrt nach Finisterre begeben, als wir Charlotte am Busbahnhof trafen, die von einem Spanier zugetextet wurde. Charlotte verstand kein Wort. Gut, dass wir Wusel dabei hatten. Die erklärte uns, dass der Spanier 8 Leute in Finisterre abholen musste und uns anbot, uns für 12 € (Bus 11 €) innerhalb von 1 Std. nach Finisterre zu bringen. Schnell war sein Bulli voll mit Pilgern und los gings.

In Finisterre (oder galicisch Fisterra, lat. Finis Terrae, also das Ende der Welt) hat er uns netterweise gleich am Leuchtturm etwas außerhalb des Ortes abgesetzt. Das Ende der Welt. So glaubten die Pilger im Mittelalter zumindest. Weiter ging es nicht.

Es war atemberaubend schön dort. Traditionell verbrennen die Pilger dort ihre Pilgersachen. Da die Trekkinghose, die ich überwiegend zum Laufen anhatte, wirklich ihren Dienst getan hatte, habe ich mich bei ihr bedankt und sie den Flammen übergeben.
Die Taschen waren ausgebeult, da ich immer wie ein Beuteltier rumgelaufen bin (Fotoapparat immer in der Hosentasche, Ipod und Wanderführer auch) und irgendwann war ein spanischer Trockner so heiss, dass auch der Reissverschluss am Bein (Zipp off) so eingeschmolzen war, dass ich den beim Laufen immer mit Pflaster überkleben musste. Ich hatte mich schon daran blutig gescheuert.
Also mit Dank ins Feuer. Wusel hat ihre Socken gleich hinterhergeworfen.

Danach haben wir uns jeder ein Platz auf den Felsen gesucht (ein wenig getrennt voneinander) und haben lange aufs Meer geguckt und unseren Gedanken freien Lauf gelassen.

Das war für mich der wirkliche Abschluss der Pilgerfahrt. Natürlich weiß ich, dass es einen wirklichen Abschluss nicht gibt, weil die gedankliche Verarbeitung zu Hause auch weitergeht, aber es war der symbolische Abschluss für mich.
Ich fühlte mich wirklich, als sei ich angekommen. Das war sehr schön.
Ich habe es noch schöner empfunden, als die Ankunft in Santiago.

Es gab noch zwei Leute, die ich wirklich gerne wiedergesehen hätte und das waren Mitch und Ruthi aus Canada. Es kam wie es kommen musste.
Als ich ganz versunken später durch den Ort ging und mit den Augen schon ein Plätzchen für meinen Mittagsschlaf in der Bucht suchte, hörte ich nur:"Hey...that's Silvia! Oooh look...that's really Silvia!" Unglaublich! Ich konnte Mitch und Ruthi noch in die Arme fallen. Jetzt war der Abschluss wirklich komplett.
Es sind doch immer wieder kleine Wunder, die einem auf dem Camino passieren.

Am Abend vorher erzählte Sandrine mir, dass sie sich immer gewünscht hat, noch Roy und mich zu sehen. Mich hatte sie ja nun gesehen. Roy nicht. Sie dachte, er sei schon nach Hause gefahren. Kurz nachdem sie mir das erzählte, sprang sie plötzlich auf, weil Roy gerade über den Platz neben dem Cafe ging. Tja...Geschichten, die der Camino schreibt.

Im Ort wollten wir uns dann eine schöne Paella gönnen und haben die schlechteste Paella unseres Lebens bekommen. Wir haben sie komplett zurückgehen lassen. Der Kellnerin war das sehr peinlich und sie hat uns wenigstens die Getränke nicht berechnet. Sie wollte uns noch Alternativessen anbieten, aber uns war der Appetit vergangen. Das hat uns aber die Laune nicht verdorben und wir haben uns erstmal ein schönes Mittagsschläfchen am Strand gegönnt.

Pünktlich um 17 Uhr hat uns Alvaro, unser Taxifahrer schon erwartet und nach Santiago zurückgebracht. Der Abend ist dann noch mit einem netten Abendessen mit Luise und Reinhold und Rosa ausgeklungen.

Es war dann auch gut und ich habe mich einfach nur noch auf zu Hause gefreut.

Santiago



Hola zusammen,

es tut mir sooo leid. Es ist ja fast ein bisschen, als wenn man einen spannenden Film guckt und kurz vor dem Showdown kommt die Werbung. Dafür werdet ihr jetzt für das Warten mit einem Video belohnt.

Wir hatten die letzten Tage tatsächlich keine Möglichkeit ins Internet zu gehen.
In unserem Hotel gab es nur WLAN und dummerweise hatte ich keinen Laptop im Rucksack ;-).

Nun aber alles ausführlich (ich muss mich erstmal dran gewöhnen, dass es jetzt wieder ü und ä und ö gibt).

Ich hatte ja schon geschrieben, dass die letzte Etappe zum Monte do Gozo für mich eine Qual war. Nachts wusste ich auch warum. Ich hatte Schüttelfrost, Fieber und Magen-Darm-Probleme. Ich habe nur gedacht:"Das darf doch nicht wahr sein. So kurz vor dem Ziel. Als wenn mein Körper gemerkt hat....so, das wars. Ziel erreicht."
Leider hatte mein Körper die letzten 5 km nicht einkalkuliert.

Am Morgen ging es mir immer noch nicht gut, so dass ich Wusel vorgeschickt habe.
Sie hat zwar fürchterlich protestiert, weil sie mit mir zusammen in Santiago einlaufen wollte, aber da ich noch nicht absehen konnte, wie lange es mir noch schlecht geht, wollte ich, dass sie geht. Außerdem war das die Abmachung. Jeder geht seinen Weg und es sollte wohl nicht so sein, dass wir zusammen einlaufen.
Ich bin ja schließlich auch meinen Weg weitergegangen, als sie Fußprobleme hatte.

So ist Wusel dann alleine nach Santiago gedackelt und ich habe mich noch eine Weile meinen Wehwehchen gewidmet. Nach einiger Zeit wurde ich jedoch unruhig, habe meinen Rucksack geschultert und bin los. 5 km.....das war doch mittlerweile fast so, als wenn man zu Hause zum Frühstück Brötchen holt.

Die restlichen Kilometer nach Santiago hinein waren ziemlich unromantisch, allerdings nur solange, bis die Kathedrale in Sicht kam. Die Altstadt ist einfach wunderschön. Ein Dudelsackspieler spielte in dem Torbogen zum Kathedralvorplatz, die Sonne schien, es war einfach schön.

Als ich die Kathedrale erreicht hatte, habe ich mich erstmal fassungslos hingesetzt.
Das soll es jetzt gewesen sein? Es war keine Hochstimmung. Eher so ein melancholisches Gefühlswirrwarr.
Auf dem ganzen Weg hatte ich irgendwie nie das Gefühl, dass es zur Erfüllung meines persönlichen Caminos unabdingbar ist, dass ich in Santiago ankomme.
Natürlich war es das Ziel....aber eben irgendwie doch nicht. Ich weiß, es klingt wirr, aber jeder, der den Camino schonmal gegangen ist, wird das verstehen.

Das, was ich auf dem Weg an Begegnungen, Gesprächen, Gedanken, Gebeten, Geschenken, persönlichem Wachstum, Herausforderungen, Frustrationen, Gastfreundschaft, Freundschaften und liebevollen Gesten bekommen hatte, das war nicht hier in Santiago zu finden. Das war es aber, was den Camino ausgemacht hatte.
Santiago hat mich dennoch tief berührt.

Auf dem Kathedralplatz habe ich dann auch Wusel wiedergetroffen und wir haben uns erstmal eine Cola in einem Cafe dort gegönnt. Als wir dort am Tisch saßen, kam ein junger Italiener, den ich ein paar Mal in Herbergen getroffen hatte und gratulierte uns. Es war irgendwie witzig. Man hat das Gefühl, man ist auf einem Familientreffen der Pilgerfamilie. Man hat sie irgendwie fast alle mal in den Herbergen oder auf dem Weg gesehen.
Es hatte sich schon eine lange Schlange vor der Puerta Sancta, der heiligen Pforte gebildet, die nur in heiligen Jahren geöffnet ist.
Da man die Rucksäcke nicht mehr mit in die Kathedrale hineinnehmen durfte, haben wir erstmal unser Hotel gesucht (ein gaaanz nettes kleines sauberes schickes Hotel nur 2 Min. von der Kathedrale entfernt) und dort unsere Rucksäcke deponiert.

Da wir davon ausgingen, dass es sich bei der Schlange um Messebesucher handelt, die in die Pilgermesse wollten (wir hatten eine Frau in der Schlange gefragt und die hat gesagt, sie wolle in die Messe), haben wir uns da eingereiht.
Na das konnte ja heiter werden. Aber unser Glück ließ nicht lange auf sich warten. Es kam in Form von Ulla, die auf der Treppe das Geschehen beobachtete.
Sie klärte uns erstmal auf, dass dies die Schlange sei um den heiligen Jakobus zu umarmen und in die Krypta hinabzusteigen und das Grab zu besichtigen.
Wenn wir in die Pilgermesse wollten und gute Plätze haben wollten, dann sollten wir uns schon jetzt auf den Weg machen. Die Kathedrale sei offen.
Wir haben also beschlossen, dass Jakobus noch ein bisschen auf unsere Umarmung warten muss (machte ja nichts...er hatte ja noch genug) und sind dann in die Kathedrale gegangen, die schon um kurz vor 11 sehr voll war (Beginn Messe um 12).
Wir haben aber noch gute Sitzplätze bekommen und harrten dann der Dinge, die da kommen sollten.

Viele Menschen setzten sich noch mal eben schnell vor die Beichtstühle und beichteten noch vor der Messe oder gingen in den Altarraum und beichteten den dort anwesenden Priestern. Am besten aber fand ich die Beichtstühle. Sie waren nicht so abgeschlossen, wie bei uns. Nur der Priester saß innen, war aber von außen zu sehen. Der Gläubige kniete dann von außen vor dem Priester und beichtete.
Ich habe das Ganze dann "Beichte to go" getauft. Das wäre mir zu schnell und unpersönlich, aber wenn es demjenigen hilft, der beichtet, warum nicht?

Die Pilgermesse um 12 Uhr war irgendwie mehr Show, als Messe. Die Spanier quasselten auch während der Messe. Es war unruhig und ziemlich anstrengend. Ich hatte allerdings auch keine meditative Messe erwartet ;-).
Wunderschön war es aber, als die Nonne gesungen hat. Wirklich wie ein Engel. Traumhafte Stimme.
Zum Schluss der Messe hatten wir noch das Glück, den (das?) Botafumeiro in Aktion zu sehen.
Das ist das riesige Weihrauchfass, das geschwungen wurde.
Da die Messe ohnehin wenig andächtig war, hatte ich dann auch keine Skrupel, das Ganze mit meiner Kamera zu filmen (wie Hundert andere auch ;-).

Nach der Messe haben wir Reinhold und Luise wiedergetroffen und Anja ist mit den beiden losgezogen, während ich mich ins Hotel zurückgezogen habe, da ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte.
Kaum im Bett, begann es auch schon wieder mit dem Schüttelfrost und Fieber.
Ich habe dann erstmal einige Stunden tief und fest geschlafen.

Da ich aber unbedingt noch meine Compostela holen wollte, die ja das Datum von dem Ankunftstag tragen sollte, habe ich mich um 17 Uhr aus dem Bett geschält und bin mit Wusel zum Pilgerbüro gedackelt.
Die Dame im Pilgerbüro hat mich dann gefragt, ob ich auch alles brav gelaufen sei.
Ich habe dann meine beiden innerstädtischen Busfahrten "gebeichtet" (obwohl ich diese Kilometer durch meine längeren Alternativrouten bestimmt wieder reingeholt habe). Daraufhin hat sie mich gefragt, ob ich denn seit Sarria komplett gelaufen sei. "Na klar!" Dann hat sie genau meine Stempel kontrolliert und meine Compostela ausgestellt. Witzigerweise zuerst auf meinen Mädchennamen. Als sie den Irrtum bemerkte, wanderte meine erste Compostela also sofort in den Müll. Schade...die hätte ich auch noch mitgenommen ;-).

So, jetzt fehlt zu unserem Komplettpaket also nur noch die Umarmung des Jakobus (obwohl ich ehrlich gesagt nicht glaube, dass es tatsächlich Jakobus ist, der da liegt, aber egal) und die Beichte (ich habe erst zwei Mal in meinem Leben gebeichtet...wird mal wieder Zeit, obwohl ich da eigentlich auch so ein bisschen zwiespältig bin, aber das ist ein anderes Thema). Für die Beichte haben wir 15 Tage Zeit, für die Umarmung des Jakobus nicht. Also haben wir uns in die nur noch sehr kurze Schlange gestellt und sind durch die Heilige Pforte in die Kathedrale gegangen.

Während der Messe hatten wir schon immer gesehen, wie die Gläubigen die Statue des Jakobus umarmten. Das sah witzig aus, weil man meistens nur gesehen hat, wie zwei Hände von hinten kamen (Der Jakobus steht hinter dem Altar). Die Köpfe und Körper hat man meistens nicht gesehen, weil die Statue so groß ist.

Das haben wir dann auch gemacht und sind dann noch in die Grabkapelle hinabgestiegen.
Das Ganze hat nur ein paar Minuten gedauert und war ziemlich unspektakulär.
Damit hätten wir dann unser Rundumpaket komplett ;-).

Ein ganz großer Wunsch von mir ist dann doch noch in Erfüllung gegangen.
Ich bekam noch eine SMS von Sandrine so nach dem Motto:"Hey, du müsstest doch jetzt eigentlich in Santiago angekommen sein. Wir sind in 1 Std. mit dem Bus da. Kommen von Finisterre. Sehen wir uns?"
Das war das größte Geschenk. Meine lieben Caminofreunde Sandrine, Siad, Josh und James nochmal zu sehen. Obwohl es mir nicht so gut ging, war es für mich klar, dass ich den Abend noch mit ihnen verbringen wollte. Es war dann auch ein toller Abend und Wusel konnte hinterher glaube ich gut nachvollziehen, warum ich so traurig war, dass ich diese Menschen unterwegs ziehen lassen musste. Aber der Camino hat uns ja wieder zusammengeführt. Sie waren zu Fuss nach Finisterre gegangen und nun mit dem Bus zurückgekommen.

So ist dann ein ereignisreicher, anstrengender Tag in Santiago noch sehr schön zu Ende gegangen.

Silvia

Donnerstag, 20. Mai 2010

Monto do Gozo

Hola zusammen,

wir sind kurz vor dem Ziel. Noch 5 km bis zur Kathedrale von Santiago.

Wir uebernachten heute auf dem Monte do Gozo, dem Berg der Freude. Von hier aus kann man das erste Mal einen Blick auf Santiago werfen.
Leider hat es Wusel jetzt komplett aus den Latschen gehauen. Wir sind gestern ca. 24 km gelaufen und die letzten 5 Kilometer konnte sie nur noch unter hoellischen Schmerzen gehen und abends ging garnichts mehr.
So musste sie heute mit dem Taxi hierhin fahren und das medizinische Zentrum hier besuchen, wo ihr Fuss getapt wurde und sie einen Salbenverband bekommen hat. Morgen will sie tatsaechlich mit Hilfe der Pharmaindustrie noch die restlichen 5 km gehen, soweit die Fuesse sie dann wieder tragen.

Die beiden letzten Etappen waren eine ziemliche Qual. Gestern fuer Wusel (und auch fuer mich, da ich sie nicht leiden sehen konnte) und heute fuer mich, da es sehr sehr heiss ist und ich mehrere Stunden in der prallen Sonne gehen musste.
Hier auf dem Monte ist eine grosse Ferienanlage, wo bis zu 800 Pilger uebernachten koennen.

Es ist ein komisches Gefuehl, so kurz vor dem Ziel zu sein. Ich bin wirklich gespannt, wie ich mich morgen fuehle, wenn ich die Kathedrale erblicke.

Interessant ist noch der Ort vor dem Monte. Hier haben sich die mittelalterlichen Pilger gewaschen, bevor sie in Santiago einliefen. Das Ganze beruhte aber auf einem Missverstaendnis, da der mittelalterliche Reisefuehrer den Ortnamen falsch uebersetzt hat. Statt Lavacolla richtig mit "viel Geroell" zu uebersetzen, lautete die Anweisung Lavacolla "wasch die Genitalien" ;-)). Tja...wie dem auch sei. Das hat doch dazu gefuehrt, dass einige sauberer als sonst in Santiago einliefen. Von Lavacolla sind es aber noch 10 km, so dass bei der Hitze, wie sie heute herrscht, das Waschen sicherlich nicht viel genutzt hat. Deswegen gibt es auch sicherlich das grosse Weihrauchfass in der Kathedrale ;-)).

Meine Internetzeit ist fast abgelaufen und ich habe kein Kleingeld mehr.

Von daher werde ich das naechste Mal aus Santiago gruessen.

Ultreia
Silvia

Dienstag, 18. Mai 2010

Post von Wusel.....




Hallo Ihr Lieben,
ich betaetige mich heute mal wieder als Gastblogger...
Heute ca. 22 km bei bestem Wetter und zum Glueck auch durch einige Waldstuecke - da ist der Boden weicher, man hat Schatten und es duftet nach Fichten und Eukalyptus.
Heute bin ich unterwegs wieder drei spanischen Caballeros begegnet, die ich schon vor einigen Tagen getroffen habe. Sie sind mit ihren Pferden auf dem Weg nach Santiago...und ihre Frauen laufen :))

Heute mittag habe ich mir in einer Pulperia in Melide eine leckere Empanada mit einem Salat schmecken lassen...und ploetzlich hoere ich Hufgetrappel. Bonanza laesst gruessen: vor der Tuer haben die Herren ihre Pferde geparkt - da sie die Pferde aber nicht alleine an der Strasse lassen wollten, haben sie auch draussen gegessen.
Spaeter haben mich die drei dann noch ueberholt...auf dem Foto sieht man nur zwei...der dritte war ein Stueck hinter ihnen - das Warten hat sich gelohnt, der sass naemlich ganz entspannt mit freiem Oberkoerper auf dem Pferd - das habe ich allerdings nicht mehr fotografiert, sondern in Ruhe genossen ...

Heute hatte ich auf dem Weg auch genug Puste, mich waehrend des Laufens auch mal mit anderen zu unterhalten...schon sehr interessant zu hoeren, woher die Leute kommen und warum sie den Camino gehen.

Und bleiben noch drei Tage bis Santiago...kaum vorstellbar - ich glaube, wenn ich noch eine weitere Woche laufe, koennte ich mal langsam mit Silla mithalten :))

In Santiago freue ich mich auf einige sehr weltliche Dinge: das eigene Bad und Bett im Hotel - und wir werden shoppen gehen. Silla will dringend Parfum fuer guten Duft - und ich werde ihr eine Tube Haargel spendieren, weil sie mir jeden Tag erzaehlt, wie sehr ihr ihr Haargel abgeht (wir haben hier heute eine Frau getroffen, die tatsaechlich eine Kurpackung und Faerbemittel eingesteckt hatte...bruellendes Gelaechter!!)

Wenn wir es schaffen, fahren wir noch zum Kap Finisterre an den Atlantik.- Dort verbrennt man traditionellerweise etwas vom Weg - Silla ihre Hose, ich werde ein paar Socken in das Feuer schmeissen ... und dann bestellen wir uns eine leckere, riesige, mit Liebe gekochte Paella und lassen es uns gut gehen.

So Ihr Lieben - das wars fuer heute.
Buen camino - auch fuer Euch, herzliche Gruesse von Eurer
Anja / Wusel

Boente de Riba




Hola zusammen,

viele Gruesse aus dem "schoenen" Boente de Riba, unserem Zufluchtsort. Im Sommer hat dieses Dorf 400 Einwohner, im Winter 40 ;-). Und die 400 sind wirklich Einwohner und keine Pilger. Sie leben davon, die Pilger im Sommer zu beherbergen und im Winter relaxen sie oder so....

Die heutige Etappe war sehr schoen, weil wir viel durch Eukalyptuswaelder und an kleinen Baechen vorbeigelaufen sind. Ich bin heute schon um 06.15 Uhr gestartet. Es war noch relativ dunkel und ich hatte echt Angst, mich zu verlaufen (es ging auch noch durch ein Waldstueck). Aber der liebe Gott hatte wohl ein Einsehen und im Wald war es dann schon so daemmerig, dass ich den Weg sehen konnte. War aber schon ein komisches Gefuehl.
Ich wollte versuchen, fuer Wusel ein Zimmer in einer Herberge oder einem Hotel zu bekommen, waehrend ich in der Herberge in Ribadingsda....(hach ich kann mir die ganzen Namen nicht merken) uebernachten wollte. Wusel wollte nicht so weit laufen, so dass sie spaeter gestartet ist und sich auf meine Suchkuenste verlassen hat ;-).

Die Etappe war heute eine Qual fuer mich. Obwohl es mir gestern abend recht gut ging, tat mir heute jeder Schritt weh. Meine orthopaedischen Einlagen musste ich vor ein paar Tagen aussortieren, da sich die Lederauflage geloest hat. So laufe ich nun mit den normalen Einlagen der Schuhe (die ich wohlweislich eingepackt hatte) und das merke ich auch. Ausserdem habe ich mir doch tatsaechlich 44 km vor Santiago noch eine Blase gelaufen. Es ist die kleine Blase, die ich unter dem Fuss hatte und von der ich dachte, sie waere laengst ausgeheilt, so dass ich sie vorgestern nicht getapt habe.
Das hat sich sofort geraecht. Ach...ich bin heute richtig wehleidig.

Um 12 Uhr war ich schon in Boente und habe diese Herberge hier gesehen. Sie hatten noch 2 Betten fuer uns frei und ich habe mich dann auch entschlossen, heute keinen Schritt mehr weiterzugehen. So lagern wir hier. Es ist ein wenig abenteuerlich, aber Hauptsache, wir haben ein Dach ueber dem Kopf. Vorhin musste eine Mitpilgerin voll eingeseift aus der Dusche rausspringen, weil die Dusche sich ueberlegt hat, nach 2 Min. kein Wasser mehr zu geben. Sie hat herrlich auf bayrisch geflucht. "Na komm scho du dammertes Ding..." Ich stand gerade am Waeschestaender und habe mich kaputtgelacht. Ich hatte heute ausnahmsweise mal eine schoene warme Dusche (ich war ja die Erste hier ;-)).
Morgen muessen wir dann ein paar Kilometer mehr machen, aber das ist nicht so schlimm, da wir fuer morgen abend schon unsere Betten fest reserviert haben. Also koennen wir bummeln und an jeder Bar einkehren ;-).

Da der Computer hier mal ausnahmsweise schnell ist, stelle ich auch noch ein paar Fotos ein. Auf dem einen seht ihr den Blick aus meinem Bett vorgestern abend in der Herberge (ein Schlaefer fehlt noch - der Abstand war also noch kuerzer ;-)). Auf dem anderen seht ihr die Morgenstimmung heute morgen im Nebel und auf dem dritten einen schoenen Bachlauf, den ich heute vormittag ueberquert habe. Ein Spanier war so nett, mich zu fotografieren.

So...jetzt kommt noch ein neuer Post von Wusel mit weiteren Bildern.

Ultreia
Silvia

Montag, 17. Mai 2010

Portomarin - Palas dei Rei


Hola zusammen,

hurra, ich sitze an einer richtigen Tastatur und kann in die Tasten hauen.
Das Pilgern wird langsam zur Roadshow. Es ist der Horror.
Wusel hat es heute richtig beschrieben:"Ich hatte das Gefuehl auf einer Ameisenstrasse zu sein!"
Gestern sind wir bis nach Portomarin gegangen. Die Strecke von Sarria bis Portomarin war eine der schoensten des Camino (von den vielen vielen schoensten...). Leider getruebt durch unzaehlige Sonntagspilger, die von Bussen hin- und hergekarrt wurden und ab und zu mal die schoene Landschaft durchstreiften.
Es war grausam. Laut, ruecksichtslos und natuerlich mit saemtlichen Pilgerutensilien wie Muschel und Kallebasse (schreibt man das so...ich meine diesen Kuerbis ;-)) ausgestattet. Sogar mit Kinderwagen sind sie ueber Baeche und Matschwege geschoben.

Es hat nichts, aber auch gar nichts mit dem Pilgern zu tun, wie ich es in den Etappen vor Leon kennengelernt habe.

Ich habe dann in Portomarin in der Herberge uebernachtet und Wusel wollte sich ein Hotel suchen. Das hat sie aber leider nicht bekommen, weil der Ort total ausgebucht war. Gut, dass sie noch ein paar Mitpilger getroffen hatten, die ihr den Tipp mit einer privaten Albergue gaben. So hatte sie noch ein Bett.

Heute morgen begann in der Herberge schon um 5.30 Uhr der grosse Aufbruch. An Schlafen war nicht zu denken. Ich wundere mich jeden Morgen ueber die Leute, die sich ihre Wecker stellen. Sie sind naemlich die Einzigen im Schlafsaal, die nicht davon wachwerden *gggrrrrr*. Ich habe mich dann um 5.45 aus meinem Schlafsack gekugelt und habe meine Sachen gepackt. Der Durchgang bis zum Nachbarbett betrug ungefaehr 30 cm und ich hatte fast Angst, steckenzubleiben ;-).

Ich habe dann beim Licht der Taschenlampe meines Tischnachbarn gefruehstueckt (Joghurt mit Apfel und Banane-man wird ja genuegsam) und war um 6.45 Uhr schon fertig. Das Problem war, dass ich mich mit Wusel erst um 7.30 Uhr verabredet hatte.
Sie hat mir dann per sms das OK gegeben, dass ich schon loslaufen kann und das war gut so. Nach einer Etappe in der prallen Sonne, die ganz ok, aber wenig aufregend war, da es ueberwiegend ueber Schotterwege und an der Strasse entlang ging, kam ich in Palas dei Rei an und es gab so gut wie keine Betten mehr.
Wie soll das erst im Sommer werden.
Ich habe jetzt ein Doppelzimmer fuer uns ergattert und Wusel ist vorhin auch voellig abgekaempft hier angekommen.
Wie haben nun fuer morgen die Albergues durchtelefoniert, die fuer uns in Frage kommen, aber alle sind ausgebucht. Wird spannend. Mal sehen, in welcher Scheune wir morgen unser Haupt betten. Ich glaube Wusel kriegt einen Anfall....
Ich bin da ja schon abgehaertet. Allerdings moechte ich auch nicht unbedingt im Wald schlafen. Vielleicht gibts ja noch Woelfe.

Als ich heute vor dem Kilometerstein 65,5 (bis Santiago) stand, war ich irgendwie wie betaeubt. Ich kann das gar nicht glauben. Die ersten Kilometerangaben (es war auf meiner ersten oder zweiten Etappe) waren mit Kilometerstaenden von ich glaube 528
km angegeben und nun sind es nur noch 65. Wahnsinn.

Es war immer mein grosser Traum diesen Camino zu gehen. Ich habe es nun fast vollendet und irgendwie ist das ein komisches Gefuehl. 10 Jahre "gedankliche" Vorbereitung und die Zeit verging wie im Flug. In den ersten zwei Wochen war ich einfach nur gluecklich und zufrieden. Es war wie "Angekommensein". Es fuehlte sich richtig und gut an. Nun ist es ein "K(r)ampf". Diese vielen Menschen, das Gedraenge, das Gerenne um die Betten.

Lediglich die Etappen durch die schoene Landschaft versoehnen mich wieder.

Der O Cebreiro ist nun auch aus meinen Knochen wieder raus und meinen Fuessen geht es wieder gut. Das waren echt zwei Hammertage.
Der Ort, in dem wir gestern abend waren, liegt uebrigens an einem Stausee, in dem der urspruengliche Ort versunken ist. Lediglich die beiden Kirchen sind Stein fuer Stein abgetragen worden und am neuen Ort wieder aufgebaut worden.

Das war ganz witzig. Auf vielen Kirchensteinen konnte man noch Zahlen sehen. Das war nicht "Malen nach Zahlen", sondern "Bauen nach Zahlen". Gut dass ich keiner verzaehlt hat ;-).
Als wir vor der Kirche sassen, kam gerade ein Trauerzug an. Schrecklich fuer die Angehoerigen. Der Sarg wurde ueber die Hauptstrasse getragen und hunderte Bustouristen und Pilger gafften. Die Angehoerigen taten mir fuerchterlich leid.

Ich habe trotz der vielen Touris auch noch sehr nette Leute in den letzten Tagen kennengelernt. Das Schoene ist, dass ja alle irgendwie gleich sind. Alle rennen in Trekkingklamotten herum, egal ob reich oder arm oder Aussteiger oder Direktor (Ex-Direktor), Abteilungsleiter oder Student. Es ist egal und alles ist vertreten.
Man lernt die Menschen beim Plaudern einfach als Mensch kennen und oft ergibt sich erst nach Stunden/Tagen (oder nie) das Gespraech darueber, was man beruflich macht.

Heute bin ich mit jemandem gegangen, der mir erzaehlt hat, dass sein Leben fuer ihn immer perfekt war. Verheiratet, 2 Kinder (mittlerweile 22 und 28), beruflich sehr erfolgreich. Letztes Jahr ist er 50 geworden und hat noch gesagt:"Was soll mir passieren. Ich bin gluecklich!" Dann hat seine Frau ihm letzten Sommer eroeffnet, dass sie ihn nach 28 Jahren Ehe verlaesst. Sie haetten sich auseinandergelebt und sie koenne es auch nicht mehr aushalten, dass er immer so lange arbeitete (teilweise 12 Stunden und mehr). Er hat seine Stunden reduziert, konnte aber seine Ehe nicht mehr retten. Nun stand er vor einen Scherbenhaufen und alles das, was er sich an seinem 50. Geburtstag nicht im Traum haette vorstellen koennen, war nun eingetreten.
Er hat mir eindrucksvoll geschildert, wie es ihm ging.
Seine Frau ist mit einer Freundin zusammengezogen und moechte sich nun ein neues Leben aufbauen (hat aber keinen neuen Mann, also das war definitiv nicht der Trennungsgrund).
Ich habe lange darueber nachgedacht. Man soll doch wirklich jeden Tag geniessen.
Nicht, dass ich jetzt Angst um meine Ehe haette (hallo Schaaaaatziiiii ;-)), aber
auch ich haette mir ja vor 3 Jahren nicht vorstellen koennen, dass ich so schwer erkranke. Man ist so schnell wieder im Alltagstrott und vergisst oft, es zu wuerdigen, wie gut es einem eigentlich geht. Es ist ja alles so normal und laeuft halt.

Tja...that's life. So...das war mein Wort zum Montag ;-)). Denkt mal drueber nach und freut euch, wenn es euch gut geht.


Ultreia
Silvia